Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) - Kreisvereinigung Augsburg
Stand: 2006 VVN-BdA Startseite
Dokumentation

Nachruf auf Anni Pröll
Aus: Die Glocke vom Ettersberg. Mitteillungsblatt der Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora Nr. 183(2006), S.7


Anna geht in ihrer Wohnung aufgeregt hin und her. In der Kleinstadt Gersthofen, ganz in der Nähe Augsburgs, wo Anna seit 1953 lebt, soll eine Straße nach Wemher von Braun benannt werden. Der erste Brief an den Bürgermeister ist noch freundlich formuliert „mit der Bitte um Prüfung....“. War doch Annas Schwager Fritz Pröll Widerstandskämpfer im KZ Dora. Er war einer der 20000 Menschen die in diesem Lager ums Leben kamen. „Ungefähr so viele wie Gersthofen Einwohner hat...‘ schreibt Anna in ihrem Brief. Wernher von Braun sei „mindestens mitschuldig“.

“Jetzt geht es mir wieder besser‘ sagt Anna und atmet tief durch. Wenn sie etwas bewegte, hatte sie keine Ruhe bis in‘s hohe Alter. Ohne Rücksicht auf die eigene Person hat sie sich zu Wort gemeldet und gehandelt. Hat Brücken zwischen den Menschen gebaut und in vielen öffentlichen Veranstaltungen gegen Rechtsextremismus und zum Kampf für den Frieden aufgerufen.

„Zivilcourage“ nennt man das heute. Als Kommunistin und wegen ihres Widerstandes gegen das Naziregime wurde sie verfolgt. Als sie als 17-jährige mit ihrer Gruppe in Augsburg Losungen gegen Hitler anbringt, werden ganze Stadtviertel abgesperrt. „Ein Mädchen die Seele des Ganzen‘ steht am nächsten Tag in großen Lettern in der Zeitung. „Vorbereitung zum Hochverrat‘ lautete das vernichtende Urteil. Im Zuchthaus Aichach und Konzentrationslager Moringen verfestigt sich ihr Glaube an die Menschen. Als Jüngste unter den Frauen erlebt sie eine Solidarität und Freundschaft die sie für immer in ihrem Herzen tragen wird.

Ihrer politischen Überzeugung ist sie treu geblieben, für ihren zivilen Ungehorsam, für ihren Einsatz gegen Rechtsextremismus und Wiederbewaffnung wurde sie und ihre Familie zunächst viele Jahre diffamiert und beleidigt.

So gab es nach 1945 für „KZ-ler“ in Augsburg keine Wohnung. Anna und Ihr Mann Josef, der selbst 8 ½ Jahre in Konzentrationslagern war ziehen nach Gersthofen, das nur 7 km von Augsburg entfernt ist. Beide bleiben mit ihrer Heimatstadt Augsburg tief verwurzelt. 1984 stirbt Josef. In den letzten zwanzig Jahren wird Anna zur gefragten Zeitzeugin. „Geschichte zum Anfassen‘ nennen es die überwiegend jungen Menschen, die ihr zuhören. Ganz ruhig wird es, wenn sie erzählt, wie sie Josef, der im Konzentrationslager Buchenwald „Läufer der Effektenkammer“ und Mitglied der dortigen Widerstandsorganisation war, einmal „besuchen“ konnte. Nachts im Wald um den Ettersberg war das „Außenkommando Feuerwehr“ unterwegs. Mit Hilfe seiner Kameraden, die Josef mitgenommen hatten, war es gelungen ein Treffen zu organisieren. Mit dem Fahrrad war Anna von Augsburg nach Weimar gekommen.

In dieser Nacht erzählt ihr Josef von den Transporten die jetzt in Buchenwald ankommen oder abgehen. Die Häftlinge wissen nicht, ob die Befreiung auch wie geplant ablaufen würde. „Wenn wir hier nicht überleben musst du diese Informationen unbedingt weitergeben.“ „Bei all ihrer Liebe zueinander" erzählt sie mehr als 60 Jahre später, „waren die politischen Ereignisse und die Befreiung von Krieg und Faschismus doch das wichtigste.“

Anna wurde vor drei Jahren als Ehrenbürgerin der Stadt Augsburg ausgezeichnet. Sie ist nach 215 Jahren die erste Frau, die in Augsburg damit geehrt wird.

Anna ist, kurz vor ihrem 90. Geburtstag, im Mai dieses Jahres in Augsburg gestorben. So wie sie es wünschte, haben ihre Familie und Freunde im kleinen Kreis von ihr Abschied genommen.

„Neben der Trauer über ihren Tod und den unwiederbringlichen Verlust, den er für jeden Einzelnen der ihr nahe stand, aber auch für unsere Gesellschaft insgesamt bedeutet, steht ihr Vermächtnis, das sie uns hinterlassen hat. Es wird schmerzhaft deutlich wie weit die Ziele, für die sie gekämpft hat, noch immer entfernt sind. "Es ist nicht zu spät‘ sagt sie im Film ihres Sohnes“ betonte Barbara Distel, die Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau in ihrer Rede.